Kommentar: Der Hype um die Kernfusion ist überzogen

Dez 17, 2022 | Beiträge, Radio

Mitte Dezember verkündeten US-Forscher bei einer Pressekonferenz des US-Energieministeriums einen Durchbruch der weltweit Schlagzeilen machte: Im staatlichen Lawrence Livermore Lab sei es weltweit erstmals gelungen, bei einem Experiment zur Kernfusion mehr Energie zu erzeugen, als hinein gesteckt werden musste. Für die Grundlagenforschung war das ein Meilenstein. Der Medienhype, der darauf folgte, war aber völlig überzogen. Denn kommerzielle Fusionskraftwerke, die sauber und sicher Strom erzeugen, bleiben weiter Zukunftsmusik.

Hier mein Kommentar zum Thema, ausgestrahlt am 17. Dezember 2022 in den Themen der Woche im Deutschlandfunk.

Wunschdenken ist keine Strategie

Wenn Wissenschaftler einen Durchbruch melden, ist immer Skepsis angebracht. Zumal wenn die Ergebnisse des angeblich bahnbrechenden Experimentes nicht in Ruhe von unabhängigen Fachleuten geprüft und in einem Fachmagazin veröffentlicht werden, sondern bei einer Pressekonferenz mit der US-Energieministerin. Dann sollte man besonders kritisch nachfragen, bevor man in den Chor der Jubelschreie einstimmt.

Doch viele Journalisten hatten offenbar keine Zeit oder Lust dazu. Die Meldung vom historischen Durchbruch wurde oft unkritisch verbreitet, der mediale Hype war enorm und am Ende des Tages erklärte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger dann auch noch im Heute Journal, das erste Fusionskraftwerk in Deutschland könne womöglich schon in 10 Jahren ans Netz gehen.

Eine Ministerin, die unrealistische Erwartungen schürt, verspielt Vertrauen

What? Nach allem, was wir wissen, ist das Blödsinn. Und eine Ministerin, die sowas zur besten Sendezeit im ZDF verkündet, ist schlecht informiert oder schlecht beraten. So oder so tut sie Wissenschaft und Öffentlichkeit keinen Gefallen. Denn wer unrealistische Erwartungen in neue Technologien schürt, verspielt Vertrauen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe Physik studiert und verfolge die Entwicklungen der Technologien für künftige Kernfusions-Kraftwerke seit 25 Jahren mit Interesse. Ich glaube wirklich, es könnte eines Tages gelingen, das Sonnenfeuer auf der Erde zu zähmen und in Fusionskraftwerken sauber und sicher große Mengen Strom zu erzeugen. Für die globale Energieversorgung und den Kampf gegen die Erderwärmung wäre das ein Game Changer. Denn wenn Wasserstoffatomkerne zu Heliumkernen verschmelzen, entstehen keine Treibhausgase.

Kommerzielle Fusionskraftwerke sind immer noch Jahrzehnte entfernt

Doch leider sind wir davon immer noch Jahrzehnte entfernt, weil die Herausforderungen enorm sind. Um Wasserstoffatomkerne im Labor zu verschmelzen, müssen sie auf Temperaturen von über 100 Millionen Grad erhitzt werden. An der National Ignition Facility in Kalifornien bündelt man dazu 192 starke Laserstrahlen auf eine erbsengroße Brennstoffkapsel. Sie wird in Sekundenbruchteilen komprimiert und dabei im Zentrum zehnmal heißer als das Innere der Sonne, sodass Wasserstoffkerne verschmelzen. Bei dem Experiment am 5. Dezember setzen sie dabei rund ein Megajoule Energie frei – doppelt soviel wie bei einem Versuch im vergangenen Jahr. Und weil das 50% mehr Energie war, als die Laser diesmal auf die Kapsel feuerten, wurde daraus die Schlagzeile, bei einem Kernfusions-Experiment sei erstmals Energie gewonnen worden.

Im Taumel der medialen Euphorie übersahen Viele das Kleingedruckte

Die Wahrheit ist: Das Erzeugen der Laserblitze verschlang hundertmal mehr Energie als hinten rauskam. Damit sich ein kommerzielles Fusionskraftwerk rechnet, müsste die Reaktion hundertfach effizienter ablaufen, die Laser müssten ihre Lichtblitze tausendmal schneller abfeuern und es müssten Materialien und Methoden entwickelt werden, um die Energie in Strom zu verwandeln, die das Fusionsfeuer freisetzt. All das scheint prinzipiell möglich, doch der Weg ist noch lang und steinig.

Fachleute machen da auch gar keinen Hehl daraus: Das erfolgreiche Experiment war ein lang erwarteter Meilenstein für die Grundlagenforschung zur Kernfusion. Nicht mehr und nicht weniger. Warum also versprechen zuerst die US-Energieministerin und später die Bundesforschungsministerin vor laufender Kamera das Blaue vom Himmel – also Fusionsmeiler am Netz, in zehn Jahren oder so?

Neun von zehn Fusions-Start-ups werden pleitegehen

Die Start-Up-Unternehmen, die in den USA, Deutschland und anderswo an der Kommerzialisierung der Kernfusion tüfteln, dürften es gern gehört haben. Die denken in ähnlich kurzen Zeiträumen und müssen Ergebnisse liefern, um Risikokapitalgeber bei der Stange zu halten. Aber machen wir uns keine Illusionen: Neun von zehn der Fusions-Pioniere werden pleitegehen, bevor das erste Kraftwerk am Netz ist.

Fördern und vorantreiben sollten wir die Entwicklung dennoch – aber bitte mit realistischen Erwartungen. Vor 2050 wird die Kernfusion keinen nennenswerten Beitrag zur globalen Energieversorgung leisten. Die Energiewende und den Kampf gegen den Klimawandel müssen wir auf absehbare Zeit mit anderen Mitteln meistern. Wer etwas anderes erzählt, macht sich und anderen etwas vor. Wunschdenken ist keine Strategie.